Nach den zwei vorangegangenen NFL-Spielen in Deutschland dachten die New England Patriots und ihre amerikanischen Fans, sie wüssten, was sie bei ihrem Deutschland-Debüt und in der Woche davor erwarten würde. Das riesige Interesse am Kartenvorverkauf für die Begegnung am 10. Spieltag und auch die immense Zahl an Anmeldungen für eine Reihe von verschiedenen Aktivitäten der Patriots in Frankfurt ließen mehr als erahnen, dass leidenschaftliche Fans vor Ort eine Selbstverständlichkeit werden würden. Ebenso, dass die Zuschauer beim Spiel bereit sein würden, "Sweet Caroline" zu singen. Das Content-Team der Patriots zog deshalb sogar halb ernsthaft in Erwägung, die Lizenzrechte für "Country Roads" zu erwerben, um den Sound nutzen zu können, als der gesamte Deutsche Bank Park das Lied lauthals sang.
Weniger erwartet haben die US-Amerikaner, welche Kraft die deutsche Nationalhymne hatte. Nicht jeder in dem mit 50.144 Zuschauern ausverkauften Stadion kannte die Sprache, geschweige denn den Text, aber die Art und Weise, wie die Hymne klang – gesungen von den Fans im ganzen Stadion – rief bei den vielen internationalen Gästen unmittelbar eine Gänsehaut hervor. Dieser Moment gab den Ton an für die Atmosphäre während des restlichen, zugegebenermaßen eher langweiligen Footballspiels – dem bislang punktärmsten der Saison 2023.
Ein besonderes Erlebnis trotz des Ergebnisses
Trotz des Ergebnisses konnte niemand der Anwesenden bestreiten, dass die Fans in Frankfurt ein besonderes Erlebnis hatten. Die Fans in Deutschland zeigten einerseits Stolz auf ihr Land und andererseits eine Leidenschaft für die New England Patriots, die der Franchise ein mehr als gutes Gefühl gab, dass die Investitionen in die DACH-Region gerechtfertigt sind. Rückblickend haben die beiden Wochen in Deutschland auf beeindruckende Weise gezeigt, was diese Fans der NFL zu bieten haben.
"Es war eine großartige Erfahrung. Die Unterstützung war phänomenal. Ich war wirklich überrascht von der Energie, aber ich fand es fantastisch", sagte Patriots-Kapitän Matthew Slater nach der Niederlage gegen die Indianapolis Colts. "Vielen Dank an die deutschen Fans. Vielen Dank an Deutschland, dass wir zu Gast sein durften. Wir hatten beinahe eine phänomenale Zeit", ergänzte er in Anspielung auf das sportlich enttäuschende Resultat. "Bis zum Spiel hatten wir eine ziemlich gute Zeit, ich bin dankbar für diese Erfahrung."
"Dankbar für die Unterstützung"
Slater war schon bei der letzten Übersee-Reise der Patriots nach London im Jahr 2012 dabei gewesen. Für seinen Mannschaftskameraden David Andrews hingegen war es das erste Mal, dass er auf einem anderen Kontinent spielte. "Es war eine tolle Atmosphäre und eine coole Erfahrung", sagte der Center. "Ich habe unser letztes internationales Spiel verpasst und bin dankbar für die ganze Unterstützung und die Fans. Ich habe das Glück, für eine großartige Organisation mit einer wirklich großartigen Fangemeinde zu spielen, und dafür bin ich sehr dankbar."
Die Patriots-Fans reisten mitunter von weit her an, um ihr Lieblingsteam in Europa zu sehen. Sie sorgten für eine starke Präsenz in Frankfurt, die zum Spiel-Wochenende hin immer mehr zunahm. Für die Deutschen war es ein echtes Heimspiel. Die Amerikaner, insbesondere die aus Neuengland, fühlten sich in diesem fremden Land aber ebenfalls wie zu Hause. Als sie in Frankfurt ankamen, fanden sie eine Stadt vor, die der Heimat Boston ähnelte: um einen Fluss herum gebaut, mit angesehenen Universitäten und Krankenhäusern, alte Architektur aus Gotik und Renaissance und ihre politische Geschichte in Einklang gebracht mit einem geschäftigen Finanzviertel und einer modernen Skyline von Wolkenkratzern im Westend.
Fans versammelten sich im "Patriots Haus"
Der deutsche Fan Julian Wagner musste nur rund 70 Kilometer fahren, um beim Spiel dabei zu sein und sich mit anderen Fans im eigens eingerichteten "Patriots Haus" im Hilton Frankfurt City Centre zu treffen. Dort versammelten sich die Fans, um Fotos mit allen sechs Super-Bowl-Trophäen, Maskottchen Pat Patriot und den Cheerleadern zu machen, Preise zu gewinnen, eine "Patriots Unfiltered"-Live-Radioshow zu sehen und legendäre Spieler wie Sebastian Vollmer, Vince Wilfork, Rob Ninkovich, Malcolm Butler und sogar den Vorsitzenden und CEO Robert Kraft zu treffen. Patriots-Fan Wagner war einer von tausenden Anhängern, die bereits am Mittwoch an der Eröffnungsfeier des Patriots Haus teilnahmen. "Das Highlight an diesem Wochenende war für mich das Patriots Haus", sagte Wagner. "Es war einfach großartig, viele Fans zu treffen, sich auszutauschen und diesen großartigen Verein mit ehemaligen Spielern zu feiern."
Wagners Berührungspunkt zum American Football war sein Onkel. Seine Großeltern waren aus Deutschland nach Albany, New York, ausgewandert. Sie zogen 1962 zurück – aber nicht bevor sein Onkel, der in den Vereinigten Staaten geboren wurde, sich in den American Football verliebte. Durch Geschichten und Fotos wurde diese Verbindung zu den USA an Julian Wagner weitergegeben. "Ich hatte eine sehr enge Beziehung zu meinem Onkel. Er hat mich mit dem American Football vertraut gemacht. Zuerst war ich kein Fan einer bestimmten Mannschaft, ich mochte einfach das Spiel", sagte Wagner. "Doch 2012 schenkte er mir zu seinem letzten Weihnachtsfest eine Jacke der New England Patriots. Leider ist er im Januar 2013 an Krebs gestorben, aber diese Jacke, die ich geschenkt bekommen habe, hat mich zum Patriots-Fan gemacht. Ich habe diese Jacke auch am Sonntag zum Spiel getragen, also hatte ich auch meinen Onkel an meiner Seite."
Gleicher Geburtstag wie Tom Brady
Seine zweite Tochter wurde am 3. August geboren – am selben Tag wie der zukünftige Hall of Fame-Quarterback Tom Brady. Passenderweise wickelte der Vater das Baby gleich in ein Trikot mit der Nummer 12. "Natürlich wusste ich, dass auch Tom Brady an diesem Tag Geburtstag hatte", sagte Wagner. "Ich bin einfach dankbar, dass meine Tochter den gleichen Geburtstag hat wie Tom Brady, und ich freue mich darauf, sie und ihre Schwester in das Spiel und diesen großartigen Verein einzuführen, so wie es mein Onkel einst mit mir getan hat. Ich freue mich wirklich sehr darauf."
Jeder Fan hatte eine andere Geschichte zu bieten, warum er sich zu den Patriots hingezogen fühlt. Einige führten das auf die NFL Europe zurück, die sich 2007 aufgelöst hatte und eine Lücke hinterließ. Für einige wurde diese gefüllt, als die Patriots im NFL-Draft 2009 den aus Deutschland stammenden Offensive Lineman Sebastian Vollmer verpflichteten, wie zum Beispiel ein Fan namens Alex, der einen kompletten Patriots-Ärmel mit Vollmers Unterschrift auf seinen Arm tätowiert hat.
Für die Patriots – gegen den Schwiegervater
Bei vielen kommt die Sympathie für die Patriots auch aus der Familie oder stammt aus einer Zeit, die man in den USA verbracht hat. Ziad Alborno, ursprünglich aus Saudi-Arabien, heiratete eine Frau aus New Jersey und lebt jetzt in Dänemark. Als er Tom Brady im MetLife Stadium persönlich erlebte, sah er sich gezwungen, nicht zu den Jets seines Schwiegervaters zu halten. Sie hatten seit 2013 gemeinsam NFL-Spiele angesehen, aber dieses Spiel der regulären Saison hat Ziads Zugehörigkeit zu den Patriots begründet. "2016 haben sie mich zu meinem ersten Spiel mitgenommen", erzählte Alborno bei der Patriots-Party im Frankfurter "Gibson Club", den die Franchise am Freitag- und Samstagabend gemietet hatte.
"Und dieses erste Spiel, das ich besuchte, war das Spiel der Jets gegen die Patriots in New Jersey. Während ich es mir ansah, wurde mir klar, dass ich nicht die Jets mag, sondern dieses andere Team. Tom Brady erzielte im vierten Viertel einen Touchdown zum Sieg, und ich sagte mir: Ich liebe dieses Team. Ich werde ein Fan der Patriots sein." Dass schaffte New England in jener Saison auch noch das größte Comeback in der Geschichte des Super Bowl schaffte, führte dazu, dass Alborno endgültig Patriots-süchtig wurde.
High Five mit Vince Wilfork
Dieses legendäre Endspiel hat auch die Begeisterung von Stefan Zenkowitz geweckt, der mit seiner kleinen Tochter und einem Freund das "Patriots Haus" in Frankfurt besuchte. "Seit 2017 gegen die Falcons bin ich Fan", sagte Zenkowitz. "Ich war so aufgeregt, das 28:3-Comeback. Ich war bis dahin kein Anhänger von irgendeinem Team, und dann habe ich das gesehen und bin bis heute noch Patriots-Fan." Jetzt hofft er, einen kleinen Fan großziehen zu können. Seine Tochter fand an Maskottchen Pat Patriot zunächst keinen großen Gefallen, dafür gab es umso glücklicher ein High Five mit Vince Wilfork, als der Patriots-Hall of Famer für ein Foto mit Vater Stefan posierte.
Ein paar Plätze vor ihnen in der Warteschlange für die Autogramme standen Helena und Sina, zwei Frauen aus Deutschland. Sie waren beide in der Vergangenheit zu Spielen nach London gereist und hatten in letzter Minute noch Karten für das Spiel der Patriots in ihrem Heimatland ergattert. Sina ist seit etwa zwölf Jahren Fan, seit ihre Familie umgezogen ist und sie plötzlich über einen neuen Fernsehanschluss die Möglichkeit hatte, mit ihrem Vater ESPN sehen zu können. Helena lernte die Patriots vor 26 Jahren kennen, als sie als Austauschschülerin in New England war. Beide sind dem Spiel treu geblieben und spielen jetzt für die Wiesbaden Phantoms, ein Frauen-Football-Team, das in der 2. Football-Bundesliga spielt. "Ich denke, dass man als Frau hier in Deutschland mehr Möglichkeiten hat, Football zu spielen als in Amerika", sagt Sina.
"Kein Sonntag ohne Football"
Wie viele deutsche Fans sind auch sie begeisterte Anhänger der European League of Football (ELF) geworden. Die professionelle American-Football-Liga startete ihre erste Saison im Sommer 2021, wobei die NFL der ELF bewusst die Rechte an den alten Teamnamen der NFL Europe überlassen hatte. Nach drei vollen Spielzeiten ist die Liga für 2024 auf 17 Teams angewachsen. Die Tatsache, dass elf dieser Teams in Deutschland, Österreich und der Schweiz beheimatet sind, zeigt, dass sich der Sport in der DACH-Region großer Beliebtheit erfreut. "Es lohnt sich, sich die ELF anzuschauen", sagte Sina. Die beiden kommen im Sommer oft nach Frankfurt, um Freunden zuzuschauen, die bei der Frankfurt Galaxy spielen. "Jedes Wochenende geht es bei uns nur um Football. Entweder man spielt selbst oder man geht Football gucken. Es gibt keinen Sonntag ohne."
Als die NFL das "Global Markets"-Programm angekündigt hatte, um Football international zu fördern, hatten alle 32 Teams die Möglichkeit, sich um einen "Heimatmarkt" in anderen Ländern zu bewerben. Die Patriots haben sich für Deutschland – und nur für Deutschland – beworben, was Teampräsident Jonathan Kraft als "No-Brainer" bezeichnete angesichts der Fanbasis, die sich das Team in diesem Land schon über Jahre aufgebaut hatte.
Partnerschaft mit dem DFB
Die Begeisterung für die Patriots in Frankfurt machte deutlich, warum Football in Deutschland keine kurzzeitige Modeerscheinung ist, und bot zugleich Anlass, die Anstrengungen der Franchise in der DACH-Region noch zu intensivieren. So gingen die Patriots eine strategische Partnerschaft mit der deutschen Fußballnationalmannschaft ein, trainierten in den hochmodernen Trainingseinrichtungen des neuen DFB-Campus und veranstalteten ein Flag-Football-Spiel mit Kindern. Das Heranführen von Schulkindern an die Sportart ist Teil eines Fünfjahresplans, den die Patriots vorlegen mussten, um darzulegen, wie sie Football in Deutschland fördern wollten.
Wie in Neuengland ist auch in Übersee gemeinnützige Arbeit ein wichtiger Bestandteil dieses Plans. Am Donnerstag vor dem Spiel begleitete Sebastian Vollmer die CMO von Kraft Sports + Entertainment, Jen Ferron, im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem DFB zu einer Notunterkunft, der die beiden Organisationen Mäntel spendeten, die auch als Schlafsack fungieren. Die Patriots engagieren sich für das Land auf eine Art und Weise, bei der es um viel mehr geht als um Markenbildung. "Als wir in die DACH-Region kamen, machten wir diese zu unserer Heimat", sagte Vollmer. "Das bedeutet, dass wir die gleichen Werte mitbringen, die die Krafts jedem Spieler vermitteln, der Teil dieser Organisation wird."
"Football ist Familie"
Bei all der Arbeit, die die Patriots leisten, um im Ausland weiter zu wachsen, helfen ihnen die Fans bei dieser Mission. "Football ist Familie", sagte Sina, als sie gefragt wurde, was die Deutschen zu diesem Sport hinzieht. "Das wird hier gelebt, und ich liebe es so sehr." Klar: Am Sonntag sollte im Deutsche Bank Park ein Football-Spiel ausgetragen werden, aber die gemeinsame Verbindung ist es, die so viele auch ohne Ticket nach Frankfurt zog. Auf dem Roßmarkt im Frankfurter Zentrum gab es zum Beispiel die "NFL Experience", eine Reihe verschiedener Football-Aktivitäten, die am Samstag auch eine Gruppe von vier Frauen – zwei beste Freundinnen und ihre jeweiligen Töchter – ausprobiert haben.
"Paola (Rode) war Onkologin am Leahy Hospital in Burlington, Massachusetts, und ich war die Leiterin des Krebszentrums", erzählte Jacqueline Broms, die in Deutschland geboren wurde, aber jetzt an der Nordküste von Massachusetts wohnt. "Wir sind beste Freundinnen, sie war meine Onkologin, und das sind unsere Töchter, die jetzt beste Freundinnen sind". Rode lebt jetzt mit ihrem Mann in Deutschland. Als das Spiel der Patriots angekündigt wurde, versuchten die Frauen unermüdlich, sich Tickets zu sichern und zum ersten Mal seit einem Jahr wieder zusammenzukommen. "Ich bin um 3 Uhr morgens aufgestanden, um Karten zu bekommen", erzählte Broms' Tochter Caroline. "Ich stand in einer virtuellen Warteschlange von einer Million Menschen und habe keine bekommen. Ich habe es jede Woche weiter versucht, und schließlich haben wir Tickets erhalten."
Der Zeitpunkt könnte für die beiden Frauen, die zu einer Familie geworden sind, nicht besser gewählt sein. "Bei mir wurde erst vor einer Woche Brustkrebs diagnostiziert, deshalb ist es etwas ganz Besonderes, zusammen zu sein", sagte Rode. "Das Gute ist: Wir haben ihn früh erkannt." Ihre Tochter Hannah ergänzte: "Es ist schön, dass sie hierher gekommen sind, denn sie haben das schon einmal gemeinsam durchgestanden." Für sie ging es vor allem darum, sich wiederzusehen, um sich gegenseitig zu unterstützen, Boston zu feiern, die Stadt, die sie zusammengebracht hat, und Deutschland, das Land, das dieses wichtige Wiedersehen ermöglicht hat.
Dankbar für die Patriots
Wie alle Fans, die ihre Geschichten erzählten, waren und sind sie dankbar für die Patriots. Aus diesem Grund strömten die Fans auch trotz einer Bilanz von 2-7 vor dem Spiel zu Tausenden nach Frankfurt, um zu zeigen, wie viel ihnen dieses Team bedeutet. Das sorgte schon für eine Playoff-ähnliche Stimmung im Stadion. Es fühlte sich an, als würde die Mannschaft hier vor der lautesten Heimkulisse in dieser Saison spielen, weil die Fans es zu schätzen wussten, dass die Patriots endlich zu ihnen gekommen waren.
Vor dem Spiel organisierte einer von 14 deutschen Fanclubs einen Fanmarsch zum Stadion, eine Tradition für die Anhänger europäischer Fußballmannschaften. Man hoffte auf die Teilnahme von ein paar Hundert Menschen, doch es kamen Tausende, die einer Marschkapelle durch die Straßen folgten.
Unabhängig von Siegen oder Niederlagen zeigte der gesamte Auftritt der Patriots-Fans in Deutschland, dass sie so loyal und stolz sind wie alle anderen auch auf der Welt. Und zum Glück ist dies nicht das Ende für die Patriots in Deutschland. Der Marsch hat gerade erst begonnen.